Generalat der Krankenschwestern vom Regulierten Dritten Orden des hl. Franziskus

Schwester Joseph Wu


Ich wurde am 12. Dezember 1920 in dem Dorf Hopei in China geboren; meine Eltern waren Joseph und Franziska (Chang Shih) Wu. Bereits als Kind wusste ich, dass ich Krankenschwester werden wollte und dachte darüber nach, in einen Orden einzutreten. Ich erfuhr von dem Krankenhaus St. Joseph’s Hospital in Jinan, das den Krankenschwestern vom hl. Franziskus gehörte und eine Freundin machte den Vorschlag, an Sr. Gabrielis Hu in dem Krankenhaus zu schreiben. Schon wenige Tage später erhielt ich ihre Antwort, und sie lud mich zu einem Gespräch ein.

Es war das erste Mal, dass ich meine Familie verließ, um mich ganz allein auf eine lange Eisenbahnfahrt zu begeben – und ich hatte noch nie zuvor einen Zug gesehen. Trotz aller meiner Ängste setzte ich all mein Vertrauen auf den hl. Joseph, dass er mich führen möge. Nach sechs Stunden erreichte ich Jinan und nahm eine Rikscha zum Krankenhaus. Nachdem ich die Schwestern besucht hatte, wusste ich, dass ich den Rest meines Lebens mit ihnen zusammen verbringen würde. Im Januar 1944 durfte ich wiederkommen.

Damals war es sehr unruhig in China, mit andauernden Kämpfen. In der Zwischenzeit, im Juli 1945, war die Genehmigung erteilt worden, in Chowtsun ein Noviziat zu errichten, aber sieben Monate später – wir waren gerade dabei, unsere Wäsche zu waschen, sagte Pater Lee: “Schwestern, beeilt euch, wir müssen unbedingt den letzten Zug nach Jinan erreichen, die Kommunisten kommen.“ Schnell rafften wir einige unserer Sachen zusammen und machten uns unverzüglich auf den Weg zum Bahnhof.

Nachdem wir in Jinan angekommen waren, wohnten wir zunächst eine Zeitlang im St. Joseph’s Hospital, fanden dann aber eine leer stehende Klinik, wo wir das Noviziat einrichten und für ein Jahr fortsetzen konnten. Die Nachrichten vom 27. März 1948 jedoch haben unser Leben für immer verändert: An diesem Tag erreichte uns ein Telegramm von Mutter Magdalene, der Oberin der Amerikanischen Provinz, die uns aufforderte, auf Grund der wachsenden politischen Spannungen in China zu unserer eigenen Sicherheit unverzüglich nach Amerika zu kommen. Sie hoffte, so schrieb sie, dass wir in drei Jahren wieder zurückkehren könnten. Der Beginn dieser Pilgerreise war ein trauriger Moment – wir mussten unsere Heimat verlassen und konnten noch nicht einmal unseren Familien Lebewohl sagen. Am 12. Mai verabschiedeten wir uns tränenreich von Sr. Clementia, als unser Schiff, die S.S. General Meigs, langsam ablegte.

Unsere Ordensausbildung wurde in Springfield, IL, fortgesetzt – und nebenher lernten wir die englische Sprache und amerikanische Sitten und Gebräuche. Es gab jetzt 35 chinesische Schwestern im Mutterhaus, und wir arrangierten uns mit unserem neuen Leben. Ich war kein amerikanisches Essen gewohnt und auch nicht, kaltes Wasser zu trinken. Und ich hatte noch nie die Milch von Tieren getrunken. Als bei mir Tuberkulose festgestellt wurde, fragte ich den Herrn, warum mir all dies geschah. ”Ist das die Strafe für meine Sünden? Zuerst muss ich China verlassen und jetzt werde ich auch noch krank?“ Aber Gott hat mich nicht im Stich gelassen. Am 4. Oktober 1948, noch im Rollstuhl sitzend, nahm ich in der Kirche St. Francis of Assisi an der Professfeier und -messe teil. Sr. Geraldine half mir, an die Altarstufen zu treten, wo ich meine Profess ablegte.

Da Chinas Grenzen dicht waren, dauerte es Jahre, bis eine Kommunikation mit unseren Familien wieder möglich wurde – durch Briefe, die hinein und heraus geschmuggelt wurden. Ich weinte, als ich 1957 den ersten Brief von meinem Bruder erhielt, nachdem ich zuvor durch die Mithilfe eines franziskanischen Priesters in Hong Kong an meine Familie geschrieben hatte.

Am 1. Januar 1979 öffnete China seine Grenzen wieder für andere Nationen, und am 25. Juni erhielt ich einen Brief von meiner Familie, die mich einlud, nach Hause zu kommen und sie zu besuchen. Am 9. Mai 1980 flog ich mit einigen anderen chinesischen Schwestern nach Beijing. 32 Jahre waren vergangen, seit wir unsere Heimat verlassen hatten, und als ich in meinem Dorf ankam, standen die Menschen zu meiner Begrüßung an der Straße Spalier. In der Menge, am Ende der Straße, sah ich eine alte Frau sitzen, und als ich näher kam, erkannte ich: es war meine Mutter. Diese Wochen der Wiedervereinigung mit meiner Familie waren für mich eine höchst kostbare Zeit. Seitdem durfte ich noch dreimal zurück gehen.

Ich habe einen Abschluss als Krankenschwester von der St. John’s Hospital School of Nursing (Springfield), und habe am St. John’s Hospital (Springfield) eine Ausbildung in Inhalationstherapie absolviert. Im Laufe der Jahre habe ich in den Krankenhäusern St. Mary’s Hospital (Decatur, IL) und St. John’s gearbeitet, in Letzterem bin ich noch ehrenamtlich engagiert.

Zu Zeiten war mein Lebensweg voller Herausforderungen. Aber Gott ist immer jeden Schritt mit mir gegangen – Er hat mich den Weg geführt, den Er für mich bestimmt  hatte. Ich bete dafür, dass alle, die meine Geschichte lesen, Gottes behutsame Führung erkennen mögen, die immer bei Euch ist … besonders in den Zeiten der Not

Anmerkung
Das Krankenhaus St. Joseph’s Hospital in Jinan wurde am 16. April 1926 von der Amerikanischen Provinz der Krankenschwestern vom hl. Franziskus gegründet. Damals galt es als das erste, von einer amerikanischen Ordensgemeinschaft gegründete moderne Krankenhaus in China. Auch richteten die Schwestern in den umliegenden Dörfern mehrere Polikliniken ein. Bevor die Schwestern 1948 China verließen, bat der örtliche Bischof Jarre, ein deutscher Franziskaner, darum, dass drei chinesische Schwestern (die Schwestern Assunta, Evangelista und Odorika) am St. Joseph’s Hospital, das jetzt den Kommunisten unterstellt war, verbleiben möchten, um die Arbeit mit den anderen Angestellten weiter zu führen.
Jinan wurde stark bombardiert und viele Geschosse landeten auf dem Krankenhausgelände. Es wurde aber außer einem Patienten niemand getötet, niemand aus dem Krankenhaus kam zu Schaden und das Haus selbst wurde nicht zerstört. Obwohl die Schwestern große Bedrängnis zu erdulden hatten, einschließlich der Verunglimpfung als Kriminelle, dem Verbot, ihre Ordenstracht zu tragen, und der erzwungenen Mitgliedschaft in der neuen Kirche Church of China, blieben sie bis zu ihrem Tod ihrem Glauben treu (alle Schwestern starben in Jinan: Sr. Assunta -1969, Sr. Evangelista -1987, Sr. Odorika -1987) – und mit ihnen ging die Präsenz unserer Schwestern in China zu Ende. Das Gelände, wo einst das Krankenhaus St. Joseph’s Hospital gestanden hat, wurde zum Volkskrankenhaus Nr. 2 (People’s Hospital Number 2 - für Augenheilkunde) und hat heute einen exzellenten Ruf für die fortschrittlichste ärztliche Betreuung. In Jinan gibt es darüber hinaus 15 weitere medizinische Einrichtungen.