Generalat der Krankenschwestern vom Regulierten Dritten Orden des hl. Franziskus

Schwester M. Hannelore Huesmann


 

Wenn ich über die Geschichte meiner Berufung nachdenke, so merke ich, dass sich in der Rückschau vieles zusammenfügt und mich an den Platz geführt hat, an dem ich heute stehe.

Ich wurde am 10. Januar 1960 in einem kleinen Dorf im Münsterland geboren. Mein acht Jahre älterer Bruder war hocherfreut, da er sich lange eine Schwester gewünscht hat.

Kurz nach meiner Geburt wurde ich schwer krank und es war fraglich, ob ich diese Krise überleben würde. Meine Eltern ließen mich in der Universitätsklinik in Münster behandeln und baten auch eine Verwandte, die gerade ihr Noviziat bei den Clemensschwestern begonnen hatte, um ihr Gebet. Drei Monate später durfte ich nach Hause und erlebte eine glückliche Kindheit und Jugend, in der die Familie ein verlässlicher Halt war.

Als ich 14 Jahre alt war, starb mein Vater, der seit der Kriegszeit Herzprobleme hatte. Der Zeitraum seiner akuten Erkrankung war nur kurz, aber er nutzte ihn, um mich darauf vorzubereiten, bald ohne ihn leben zu müssen. Dies war wohl das größte Geschenk, das er mir hat machen können: mir die Angst zu nehmen, mit schwerkranken Menschen über ihre Situation zu reden!

Unsere Familie war katholisch. Das war eine Selbstverständlichkeit, aber kein zentrales Thema im Alltag. Zu dieser Selbstverständlichkeit gehörte, dass ich mit 15 Jahren in die Katholische Landjugendbewegung eintrat. Das Jahresprogramm dieses Jugendverbandes war jeweils zu einem Drittel von gesellschaftspolitischen Veranstaltungen, Festen und Feiern sowie spirituellen Veranstaltungen geprägt, und ich fand Freunde, zu denen ich bis heute eine gute Verbindung habe.

Über den Jugendverband lernte ich die Arbeit in der Pfarrgemeinde näher kennen und kam als Vertreterin dieses Verbandes in das Leitungsgremium der Pfarrgemeinde. Kurze Zeit später bekamen wir einen neuen Pfarrer, der lebensoffen und kreativ war, sodass ich ein Gottes- und Kirchenbild vermittelt bekam, das mich bis heute begleitet: ein den Menschen zugewandter Gott und eine Kirche, deren Auftrag es ist, in allen Vollzügen des Lebens Zeugnis von dieser Menschenfreundlichkeit Gottes zu geben.

Nach dem Abitur beschloss ich zunächst, eine theologische Ausbildung zu machen, um später hauptamtlich in der Gemeinde arbeiten zu können.

1980 und 1982 lernte ich Ordensleute kennen, die so gar nicht in das Bild passten, das ich bis dahin vom Ordensleben hatte. Aus der theologischen Ausbildung waren mir zwar Orden bekannt, aber dieses Wissen hatte keinerlei Bedeutung für mich persönlich.

In einem Praktikum in der ambulanten Krankenpflege wurde mir klar, dass Seelsorge immer auch Leibsorge beinhaltet. Der Zusammenhang zwischen der praktischen Sorge um Kranke und der Rolle des Glaubens in einer solchen existentiellen Lebenssituation wurde mir immer deutlicher: von der Menschenfreundlichkeit Gottes reden kann man wohl nur, wenn man zugleich solidarische Hilfe anbietet, die etwas von dieser Menschenfreundlichkeit erfahrbar macht und widerspiegelt. So beschloss ich 1984, die Krankenpflege zu erlernen.

In dieser Zeit stellte ich mir öfter die Frage, in welcher Lebensform ich mein Leben gestalten möchte.

„Wenn Gott in den Texten der Hl. Schrift mich ganz persönlich meint, welche Antwort gebe ich ihm?“ Mit dieser Fragestellung war klar, dass der Glaube in meinem Leben eine deutliche Rolle spielen sollte. Allerdings war ein Leben im Kloster zu dieser Zeit für mich unvorstellbar.

Die beiden Ordensleute, die ich kennengelernt hatte, waren – für mich überraschend – dem Leben und den Menschen zugewandt, freundlich, humorvoll und zugleich von einer spirituellen Tiefe, die mich berührte.

Dies machte mich neugierig und ich begann zu fragen, warum sie diese Lebensform gewählt hatten, wie sie leben, was in ihrer jeweiligen Spiritualität wichtig ist.

 

Unsere Schwester M. Juvenalis Lammers  war eine dieser beiden Personen. Über sie bekam ich den Inhalt eines Kurses, der zur franziskanischen Spiritualität angeboten wurde, mit und entdeckte mehr und mehr, wie aktuell die Lebenssicht des hl. Franz in unserer Zeit ist. Und ich merkte, dass diese Spiritualität genau dem entsprach, was ich leben wollte: die Menschenfreundlichkeit Gottes gerade dort erfahrbar machen, wo Menschen Ausgrenzung und Zurückweisung erleben. Und so wagte ich 1987 den Schritt in unsere Ordensgemeinschaft.

Die Krankheit AIDS führte Ende der 80er Jahre in Europa zu massenhaftem Sterben junger Menschen und gleichzeitig massiver Stigmatisation – letzteres auch seitens der katholischen Kirche! Dies war der Anstoss, ganz konkret darüber nachzudenken, was für uns als Schwestern, die in der franziskanischen Tradition leben, diese gesellschaftliche Situation bedeutet und ob es nicht im Sinne des hl. Franziskus eine Verpflichtung ist, an der Seite der Betroffenen präsent zu sein.

Diese Überlegungen nahmen im Gespräch mit der damaligen Generalleitung unserer Gemeinschaft konkrete Formen an und führten dazu, dass Sr. Juvenalis und ich 1992 bei den Brüdern des Franziskanerklosters in Berlin-Pankow einzogen.

Wir arbeiteten zunächst in der Pflege von Menschen mit HIV und AIDS, um dann 1997 einen ambulanten Hospizdienst mit dem Namen „TAUWERK“ zu gründen. Diesen Dienst mit 30 Ehrenamtlichen und einer hauptamtlichen Kollegin leite ich seit der Gründung.

Das Krankheitsbild AIDS hat sich in den 20 Jahren sehr gewandelt, hat jedoch seine Brisanz nicht verloren: statt der schnellen und zahlreichen Sterbeprozesse leben die Betroffenen heute oft über lange Jahre mit massiven Einschränkungen, die neben der Symptomatik auch eine weitere Belastung mit sich bringen. Es kommt nicht selten zu einer deutlichen Reduzierung der sozialen Kontakte, wenn jemand bettlägerig, sprachunfähig und komplett auf Pflege angewiesen ist oder wenn der Krankheitsverlauf ein ständiges Auf und Ab des gesundheitlichen Zustandes mit sich bringt.

Menschen in dieser Situation auch über einen langen Zeitraum zu unterstützen, Verläßlichkeit in der Verletzlichkeit des Lebens erfahrbar zu machen und dem Leben Raum zu geben, ist das Ziel unserer Arbeit.

Im Konvent leben wir inzwischen zu dritt in einer Mietswohnung. Schwester M. Margret Steggemann lebt seit 8 Jahren bei uns und ist Seelsorgerin im stationären Caritas-Hospiz. Unser Konventsleben ist geprägt von der Offenheit und Flexibilität, die die Hospizarbeit mit sich bringt. In der je eigenen Weise versuchen wir, schwerkranken und sterbenden Menschen die heilende Gegenwart Christi erfahrbar zu machen – ohne dass sie Bedingungen erfüllen müssten, ohne jede Form einer Vor- oder Gegenleistung. Diesem franziskanischen Sendungsauftrag unserer Gemeinschaft fühlen wir uns hier in Berlin verpflichtet. Und nach 31 Jahren in unserer Gemeinschaft kann ich wie Franziskus sagen: „Das ist es, was ich will…“.