Generalat der Krankenschwestern vom Regulierten Dritten Orden des hl. Franziskus

Schwester M. Respicia Heitkamp


Geschichte von Schwester M. Respicia Heidkamp, erzählt im Interwiew anlässlich ihres 75. Professjubiläums im 100. Jahr ihres Lebens:

„Dass kaum jemand weiß, was ein Kronjuwelenjubiläum bedeutet, hat seinen Grund: Fast niemand erreicht es. Es setzt 75 Jahre tiefe Verbundenheit voraus. So wie bei Schwester M. Respicia. Die Mauritzer Franziskanerin hat alles erlebt – strenge Regeln, Heimweh, Krieg. Und noch viel mehr dies: einen Glauben, den nichts erschüttert.

Tage wie diese. Sie müssten erfunden werden, wenn es sie nicht gäbe. Zunächst der Sonntag. Schwester M. Respicia hat die Prozession der 44 Jubilarinnen der Mauritzer Franziskanerinnen angeführt. An der Seite der Provinzoberin schritt die 99-Jährige kaum merklich auf ihren Rollator gestützt durch den Mittelgang in die Klosterkirche. „Es war so erfüllend“, sagt sie.  Ein Tag im Hier und Jetzt und gleichzeitig auf einer langen Zeitreise. Erinnerungen strahlten wie Blitzlichter auf. Die Kindheit in Osterfeine. Ihre Mutter im Gipsbett. Bombennächte in Cloppenburg. Mörtel von Steinen im fast zerstörten Mutterhaus klopfen und gleichzeitig für die Krankenpflege-Prüfung lernen. Stationen in Marl, in Seppenrade. Und immer wieder er, Gott, bei dem sie sich aufgehoben fühlt wie nirgends sonst.

„Das Leben ist wie ein Film an mir vorbeigezogen“, sagt sie. Schwester M. Respicia (das M. steht bei allen Ordensfrauen für Maria) hat drei Tage nach dem Jubiläum am Tisch eines Wohnzimmers des Altenheims der Mauritzer Franziskanerinnen Platz genommen. Das Fest ist noch nicht vorbei. In zwei Stunden erwartet sie Besuch von ihrer Nichte aus München. Einen Tag später kommen alle anderen Nichten und Neffen ihrer Familie, um mit einer Frau zu feiern, die in ihrem Leben viele Menschen beeindruckt hat. Christiane Schlemmer kennt sie seit mehr als 20 Jahren. „Ich bin nie einem anderen Menschen begegnet, der so positiv denkt wie Schwester Respicia. Keinem, der nie aufgehört hat, sich zu bilden und weiter zu gehen“, sagt die sogenannte Betreuungskraft. 99 außerordentliche Jahre.

Sie beginnen für Maria Heidkamp in Osterfeine. Ihr Vater ist Dachdecker, die Mutter kümmert sich um Kinder, Haushalt und kleine Landwirtschaft. Sie ist liebevoll – und schwer krank. Ein halbes Jahr lang muss sie im Gipsbett liegen. Maria unterbricht die Schule und übernimmt die Aufgaben der Mutter. Sie hat fünf Geschwister, der jüngste Bruder ist zwei Jahre und sie selbst 13 Jahre alt. „Ich habe das nicht als Belastung empfunden. Es hat mir Freude gemacht“, sagt sie. Seine Zukunft malt sich das junge Mädchen mit einer großen Familie aus. Viele Kinder, am besten gleich ein Dutzend – das ist es, wovon sie träumt.

Vier Jahre später schiebt sich immer hartnäckiger ein anderes Bild vor ihren Zukunftstraum. Ein Leben in einer Ordensgemeinschaft, ein Leben mit Gott, für Gott. „Der Gedanke kam zunächst zwischendurch und dann immer häufiger“, erzählt sie. Und schließlich verdrängt  er den anderen. Sprechen kann sie mit niemandem darüber, erst recht nicht mit der Mutter, die sie braucht und die sie nicht enttäuschen will. Die Sehnsucht jedoch nach einem Leben im Kloster ist größer.

1944. Maria Heidkamp kommt der Entscheidung auf der Suche nach dem Orden, der zu ihr passt, näher. Sie ist Auszubildende in der Küche eines Krankenhauses der Franziskanerinnen in Cloppenburg. Die Bombennächte sind kurz und erfüllt von Angst. Die Patienten liegen Bett an Bett geschoben im Keller. Maria Heidkamp teilt einen winzigen Kellerraum mit den anderen Auszubildenden. Die einen liegen auf Matratzen auf dem Tisch, der das Zimmer fast vollständig ausfüllt, die anderen darunter.

Die Entscheidung ist getroffen. Maria Heidkamp ist Novizin der Mauritzer Franziskanerinnen und legt 1948 ihre Profess ab. Anfangs schläft sie  mit 68 anderen Frauen in einem Saal, später – nach dem Wiederaufbau des Mutterhauses – teilt sie ein Zimmer mit zwei anderen Ordensmitgliedern. Sie heißt nun Schwester M. Respicia, ist glücklich, doch das Heimweh zerrt an ihr. Die Regeln sind streng: „Ich durfte mein Elternhaus nie wieder betreten.“ 1949 unternimmt sie ihren ersten Urlaub. Ihr Ziel ist das Erholungsheim des Ordens in Kroge. „In Osnabrück gab es eine Durchsage im Zug. Ich sollte herauskommen“, erzählt sie und lächelt in der Erinnerung an ihren zwei Jahre älteren Bruder, der auf dem Bahnsteig stand, verschwörerisch lachte und sie zu einem Auto führte. „Ich fahre dich“, sagt er. Kurze Zeit später hält er unerwartet vor ihrem Elternhaus. Schwester M. Respicia ist glücklich – und verzweifelt. Es ist ihr doch verboten, das Haus zu betreten. Die Familie findet eine Lösung. Die junge Frau bleibt im Auto, kurbelt das Fenster herunter und saugt die Gespräche und den Anblick ihrer Familie in sich auf. Doch erst nach dem Tod ihrer Mutter endet das Heimweh.

Die Regeln lockern sich. Familienbesuche werden möglich, das Ordenskleid und der Schleier bequemer. Anfangs ist  er weiß, bedeckt Stirn und straff gespannt Teile der Wangen. Der Orden diskutiert, die Meinungen sind gespalten, die Mehrheit jedoch begrüßt den Wechsel zum ins Haar gezogenen Schleier.

Schwester M. Respicia arbeitet lange und gern. Mit 90 Jahren tritt sie in den Ruhestand – nach Jahrzehnten, in denen sie Einrichtungen des Ordens als Krankenpflegerin, Erzieherin und Betreuerin in einem Erholungshaus der Mauritzer Franziskanerinnen zur Verfügung stand. „Ich kann gar nicht dankbar genug sein“, sagt sie. „Ich lebe gern und genieße die Natur. Und ich freue mich, wenn ich das Leben abbreche und ganz bei Gott bin.““